Der Berufsjäger im Wandel der Zeiten
Der Berufsjäger im Wandel der Zeiten
Festvortrag zum 100-jährigen Jubiläum des Bundesverbandes Deutscher Berufsjäger e.V. in Berlin/Rangsdorf am 4. Juni 2019
Dr. Rolf Roosen, Festredner auf der Jubiläumsveranstaltung
Die Geschichte der Berufsjäger und damit auch die des Bundes Deutscher Berufsjäger ist deutlich älter als ein Jahrhundert. Sie beginnt im Mittelalter. Und hier müssen auch wir beginnen, um das Heute und Jetzt einordnen bzw. würdigen zu können.
Unser Parforceritt durch die Geschichte der Berufsjägerei – 1.200 Jahre in gut 30 Minuten! – gliedert sich in fünf Teile: 1. die Anfänge, 2. Blütezeit, 3. Niedergang, 4. der Neubeginn und 5. Schlusswort.
1. Die Anfänge
Die Geschichte des Berufsjägertums beginnt mit einem Konflikt. Und in ihm spielt das Wort Forst oder lateinisch forestis die zentrale Bedeutung. Aber anders als heute, wo der Staat Wald vor Wild proklamiert, bildeten damals nicht die Bäume, sondern die Wildtiere oberste Priorität: In merowingischer bzw. salischer Zeit (ab dem 8. Jahrhundert) erfolgten sogenannte Inforestationen. Es entstanden Waldgebiete, in denen sich der Herrscher – sprich der König – alle Nutzungsrechte (etwa Waldweide, Holzgewinnung etc.) vorbehielt. Und unter den ausschließlichen Nutzungen im Bannforst war Jagd die wichtigste. Hier galt damals Wild vor Wald. Zuvor bestand der sogenannte freie Tierfang, also das Recht jedermanns überall und jederzeit weidwerken zu dürfen. Dass war in den Bannforsten oder Wildbahnen nun vorbei.
Anders formuliert: Entstehen sowie rasch wachsende Bedeutung des Berufsjägertums waren Folge der sich immer stärker durchsetzenden Herrenjagd, welche die Volksjagd mehr und mehr verdrängte. Der feudale Jagdbetrieb erforderte jagdlich spezialisierte Hilfskräfte in unterschiedlichen Dienststellungen. So entstand das Berufsjägerkorps. All dies geschah, als zunächst der König, dann aber auch der hohe Adel das Recht erhielt, weite Territorien für sich jagdlich in Anspruch zu nehmen, also eben mit der Inforestation und verstärkt mit der nächsten jagdgeschichtlichen Epoche, der Regalität (etwa 1500 bis 1848).
Der Berufsjäger betrachtet sich von Anfang an als zur Elite gehörig und benahm sich öfter dementsprechend. Deshalb war er bis zum Ende des 18. Jahrhunderts im Volk häufig unbeliebt: Denn er wirkte bei Gemeinschaftsjagden als Aufsichtsbeamter. Er hegte hohe Wildbestände heran, die Saat und Ernte gefährdeten. Er forderte jagdliche Frondienste ein und brachte Gesetzeswidrigkeiten zur Anzeige, die Strafgeld-zahlungen zur Folge hatten etc.
Es war allerdings naheliegend, dass sich bei den Berufsjägern das Gefühl entwickelte, sie seien etwas Besseres als der zu Dienstleistungen verpflichtete Bauer, dem in zunehmendem Maß die Jagd entzogen wurde. Sie konnten weidwerken, die Bauern so gut wie nicht mehr. Eine Ausnahme bildete der Vogelfang. Die Berufsjäger waren bestrebt, niemanden in ihren Kreis eintreten zu lassen, der nicht dieselbe Ausbildung genossen hatte. Wie gelang ihnen dies? Denn es gab anfänglich keinen Lehrbrief, kein Dokument, mit dem der Stellungssuchende sich auszuweisen vermochte. Papier war noch unbekannt, Pergament überaus kostbar. Somit lag es nahe, nach einem Zeugnis zu suchen, welches als Ausweis dienen konnte. Und diesen Nachweis fanden die Berufsjäger in der Ausbildung der Weidschreie und Jägersprüche.
Was heißt das? Weidsprüche kennen wir heute kaum noch. Dieser oder jener hat sich als Redensart erhalten. Aber die weitaus größte Zahl ist verlorengegangen. Die Anfänge der deutschen Weidsprüche lassen sich bis in die Zeit um 1400 zurückverfolgen. Sie bestanden in der Regel aus einem Frage- und Antwortspiel. Der Ankommende wurde von dem, dem er sich vorstellte, mit einem Spruch befragt. Auf diesen musste er, ebenfalls in Versform, eine ganz bestimmte Antwort geben. War diese Antwort richtig, wusste der Fragende, dass er es mit einem Berufsjäger zu tun hatte. Ein Beispiel: Frage – „Lieber Waidmann, / was wittert dich heut an?,” Antwort – „Ein edler Hirsch und ein Schwein / was mag ich beßer geseyn?”
Die Weidsprüche – ungefähr 800 verschiedene – waren ein Erkennungszeichen. Dasselbe gilt für die Anfänge der Jägersprache. Eine Fachsprache braucht jeder Experte, um sich korrekt auszudrücken. Der Weidmann – damals, wie heute – muss beispielsweise wissen, was ein Schwanenhals oder eine Visiereinrichtung ist.
Daneben aber steht etwas Zweites, ganz Andersartiges. Man könnte ja beim Hirsch genauso wie bei einer Kuh von den Ohren, vom Hals, den Augen und Beinen sprechen. Nichts stände dem entgegen. Es ist deshalb unverständlich, dass Jäger dies nicht tun: Statt der Augen reden sie von Lichtern, statt des Halses vom Träger, statt der Beine von den Läufen usw. usw. Warum bedienen sie sich dieser esoterischen Ausdrucksweise? Esoterisch bedeutet soviel wie geheimnisvoll, also „nur für Eingeweihte bestimmt“. Und genau darum ging es den Berufsjägern. Die jagdliche Standessprache ist ihre Erfindung. Sie ist der Schutz, den sie aufrichteten, um einen Nichtfachmann in ihrem Kreis sofort zu erkennen.
Die Standessprache der Jäger und die Jägersprüche haben also gleiches Herkommen: Das Berufsjägerkorps wollte sich untereinander ausweisen und von denen abheben, die jagdlich nicht geschult waren. Nicht die Inhaber des nunmehr exklusiven Jagdrechts, der Adel, waren Erfinder dieser Standessprache. Der Adel brauchte keine Standessprache, um sich seiner Rechte bewusst zu sein. Er übernahm das, was die ihm dienenden Berufsjäger entwickelten. Die Schöpfer der deutschen Jägersprache, und zwar ihres standessprachlichen Teils, sind anfänglich allein die Berufsjäger gewesen.
Die Berufsjäger haben sich also ein Denkmal gesetzt, indem sie den Wortschatz der Deutschen kräftig bereichert haben. Und ein weiteres Denkmal setzten sie sich beim Fachschrifttum, und dies über die Landesgrenzen hinaus: Denn zur europäischen Jagdliteratur hat Deutschland einen bedeutenden Beitrag geleistet. Allerdings behauptete Frankreich seine führende Rolle bis ins 18. Jahrhundert: Wobei es ein ganz entscheidendes Merkmal des französischen Schrifttums ist, dass die besten Abhandlungen von jagdliebenden Persönlichkeiten des hohen und höchsten Adels abgefasst wurden.
Die deutsche Jagdliteratur ist anders strukturiert. Hier sind es vornehmlich Berufsjäger, welche herausragende fachliterarische Werke zu Papier brachten. Zu nennen ist an erster Stelle das vielleicht bedeutendste Jagdbuch, welches in deutscher Sprache geschrieben wurde, nämlich das 1626 vollendete „Puech von allerlai Jägerei und Waidmannschafften“ des in Salzburg und Kärnten beheimateten Oberstjägermeisters Martin Strasser v. Kollnitz. Und: Der zeitweise kursächsiche, später dänische Berufsjäger und Unternehmer Johann Täntzer legte 1682 den ersten Band seiner dreiteiligen Monographie „Der Dianen hohe und niedere Jagdgeheimnüß“ vor. Ihm folgten 1710 das häufig aufgelegte Werk des kursächsischen Kammerjunkers sowie Oberforst- und Oberstjägermeisters Hermann Friedrich v. Göchhausen: „NOTABILIA VENATORIS“. Dann – 1719/24 – schrieb der kursächsiche Oberforst- und Wildmeister Hans Friedrich v. Flemming den „….Vollkommenen Teutsche(n) Jäger“. 1746 der Berufsjäger Heinrich Wilhelm Döbel die „Eröffneten Jäger PRACTICA“ und 1751 der kurbayerische Forst- und Rentkammerrat Carl v. Heppe die „Praktische Abhandlung von dem Leithund“.
Johann August Grosskopf sowie Christian Wilhelm v. Heppe gaben 1759 bzw. 1763 die ersten Wörterbücher der Weidmannssprache heraus. Durch diese und zahlreiche neben ihnen wirkende Autoren hatte die deutsche Jagdliteratur ihr Profil gewonnen. Im Unterschied zu Frankreich waren ihre Verfasser in der Mehrzahl Berufsjäger in höheren oder mittleren Dienststellungen. Die Berufsjäger haben entscheidend zum Aufkommen des jagdlichen Fachbuches beigetragen. Und dieses gilt bis in unsere Tage: Stellvertretend für so manche Publikation in Buchform oder aber Fachzeitschriften sei hier Alt- und Wildmeister Hans Behnke genannt. Er schrieb unter anderem: „Aufzucht und Aussetzen von Rebhühnern” (Hamburg 1954) oder gemeinsam Reinhardt Behrend „Jagd und Fang des Raubwildes” (Berlin/Hamburg 1977).
2. Blütezeit
Das 17. und 18. Jahrhundert bildeten zweifellos die Blütezeit der Berufsjägerei. Sie war an den Zentren der damaligen Macht, sie stand in höchstem Ansehen bei Hof, sie bedeutete exzellentes und unersetzliches Fachwissen. Dies auch und gerade deshalb, weil in damaliger Zeit die perfekte Organisation und das reibungslose Durchführen eines sogenannten eingestellten oder deutschen Jagens, einer barocken Form der Gesellschaftsjagd, als Ausweis der Tüchtigkeit des Landesherrn gewertet wurde. Es galt als Beleg dafür, dass der Herrscher auch Herr der wilden Tiere und damit der damals noch als gefährlich geltenden Natur war.
Die Stellung eines Berufsjägers war anders als heute. Der Bundespräsident beschäftigt keinen Wildmeister. Im 18. Jahrhundert, genau im Jahre 1731, nahm beispielsweise der kursächsische Oberhofjägermeister unter den insgesamt elf Oberhofchargen die vierte (!) Stelle ein. Ihm waren untergeben: 26 Oberforst- und Wildmeister, ferner die verschiedenen Pirschmeister, Proviantverwalter, Jagdschreiber, Hofjäger, Jagdpagen, Aktuare, Fouriere, Jagdbesuchsknechte, Hegereiter, Wagen- sowie Zeugmeister, Leibschützen, Jagdknechte, Fasanen-, Löwen-, Bären-, Büchsenwärter, Jagdpfeifer, Jägerburschen, Jagdzeugknechte, -diener, -seiler, Wagner, Schneider, Schmiede, Karren- und sonstige Knechte. Anders als heute, wo die Diplomatenjagd ersatzlos gestrichen ist, machte eine große Anzahl gelernter Jäger, sprich Berufsjäger, einen wesentlichen Teil des jeweiligen Hofstaates innerhalb des deutschen Rechtskreises aus.
Doch wie wurde man Berufsjäger? Das ist vergleichbar mit unseren Tagen, jedenfalls zeitlich. Die Lehre dauerte drei Jahre. Der bedeutende barocke, deutsche Jagdschriftsteller Heinrich Wilhelm Döbel schrieb dazu 1747: „Im ersten Jahre muß der Junge pur nur mit der Flinte gehen, daß er sich darinne exercire; alsdenn bekommt er die Kugel-Büchse in die Hände, die Hunde zu füttern und solche reinlich zu halten, und Fleiß anzuwenden, daß er sie ferm arbeiten lerne. Was nun ein Hirsch-gerechter Jäger werden will, muß insbesondere den Leit-Hund wohl arbeiten und gute Erkänntniß von allen Fehrten lernen, und sich die Fundamenta wohl imprimiren, dabey auch Tag und Nacht fleißig seyn, und endlich auch ein Horn blasen lernen.“ Und Döbel fährt fort: „Wenn nun die Lehr-Jahre vorbey sind; so gehöret es sich auch, daß der Lehr-Junge alsdenn wehrhafftig gemacht wird …”
Freigesprochen sowie wehrhaft gemacht und damit in den Stand der Berufsjäger aufgenommen, wurde der Lehrling, indem er zunächst einen leichten Backenstreich seines Lehrprinzen erhielt. Also keine Maulschelle, wie immer wieder behauptet wird. Anschließend nahm der Lehrherr mit der linken Hand den Hirschfänger und hielt ihn mit dem Griff hoch empor. In der rechten Hand hatte er den Lehrabschied, den er ebenfalls überreichte. Er sprach etwa: Hier hast Du nun Deine Wehr‘ / Die brauch‘ zu Gottes Ehr‘ / Zu Lieb‘ und Nutz dem Herrn Dein / Halt‘ ehrlich sie, treu und rein! / Wehr‘ Dich damit Deiner Feinde, / Doch unnütze Händel meide. / Gürt‘ Deine Lenden wie ein Mann, / Der sein Horn recht blasen kann. / Nun hast Du Deine Freiheit / Gott segne Dich für alle Zeit.
Der Berufsjäger des 18. Jahrhunderts war – Ausnahmen bestätigen diese Regel – mustergültig ausgebildet: Er war firm im Ansprechen des Rotwildes, kannte das Verhalten des Schwarzwildes aus dem FF, war überhaupt über die sogenannte Naturkunde, also die Lebensweise des Haar- und Federwildes, bestens unterrichtet. Er verstand es, den Leithund, aber auch andere Vierläufer, auszubilden, artgerecht zu halten und praxistauglich zu arbeiten. Der Berufsjäger des 18. Jahrhunderts arbeitete mit dem Leithund die Gesundfährte. Auf die Arbeit mit dem Vierläufer, speziell dem Leithund, wurde – und das ist nachdrücklich zu betonen – allergrößter Wert gelegt. Der Berufsjäger war sicher in der Handhabung von Kalt- und Feuerwaffen. Er stellte erfolgreich Netze und Fallen, richtete eine Lappstatt ein und bereitet ein bestätigtes oder deutsches Jagen vor und vieles mehr. Kurzum: Er war mit allen Wassern gewaschen.
Soweit das Handwerk, doch welche charakterlichen und körperlichen Eigenschaften hatte ein Berufsjäger mitzubringen? Der Leiter der Forst- und Landwirtschafts-akademie zu Dreißigacker, Dr. Johann Matthäus Bechstein schreibt dazu 1820: „Wenn der Bauernstand … hauptsächlich die körperlichen und der Gelehrtenstand … hauptsächlich die geistigen Kräfte des Menschen in Anspruch nimmt, so muß in dem Jäger beydes in einem vorzüglichen Grade vereinigt seyn …“ Und dies vertieft er wie folgt: Körperlich betrachtet, soll der Berufsjäger „gesund und fehlerfrey seyn, einen proportionirten Körperbau, vorzüglich einen untersetzten Wuchs, eine breite Brust, einen guten Athem und Gewandheit der Glieder haben“ , zudem über gutes Sehvermögen und einen ebensolches Gehör verfügen, gut riechen können sowie einwandfreie Zähne besitzen. Und an weiteren „geistigen” Eigenschaften soll er mitbringen: Lesen, Schreiben und Rechnen können, aufgeschlossen sein und ein gutes Gedächtnis besitzen. Darüber hinaus hat er lernbegierig, gottesfürchtig, mäßig, treu, verschwiegen, nicht neidisch, aufmerksam und folgsam zu sein.
Bemerkenswert und zeitlos sind Bechsteins Ausführungen zum Thema Missgunst: „Der Neid verträgt sich am allerwenigsten mit den Jägerpflichten. Wer seinem Nachbar keinen Hirsch, keinen Hasen, keinen Fuchsbalg gönnt, dem geschieht gewöhnlich ein Gleiches, und alle freundschaftlichen Verhältnisse, Verbindungen und Hülfsleistungen, die so oft nöthig sind, werden durch einen mißgünstigen Sinn untergraben und vernichtet.“ Wohl wahr!
3. Niedergang
Das 17. und 18. Jahrhundert bedeuteten Glanz und Gloria für den Stand der Berufsjäger. Doch zugleich bahnte sich eine neue und andere Zeit an. Dazu ist ein wenig ausholen: Europa stand im 18. Jahrhundert vor einer Energiekrise. Denn eine sich immer stärker technisch orientierende Wirtschaft bedurfte der Energie. Als Rohstoff stand im Großen und Ganzen nichts Anderes als Holz zur Verfügung: Jeder Eisenhammer, jede Glashütte, jede Ziegelei, jede keramische Werkstatt, jeder Backofen und jede Heizung wurde mit Holz und nichts anderem als mit Holz betrieben. Der Holzbedarf stieg ins Unermessliche. Deutschland drohte ein wirtschaftlicher Zusammenbruch, weil die Zuwachsraten im Waldbau weit hinter der jährlichen Nutzung zurückstanden. Große Flächen waren abgeholzt, wurden aber nicht planmäßig wieder aufgeforstet.
Es gab keine erfahrenen Förster. So entschloss man sich, die Berufsjäger zusätzlich mit forstlichen Aufgaben zu betrauen. Aus dem hirschgerechten Jäger, der das Sinnbild des deutschen Berufsjägers im 17./18. Jahrhundert war und den Meister der Leithundarbeit verkörperte, wurde der holzgerechte Jäger, der nicht nur auf das Wild, sondern auch auf den Wald schauen sollte. Es wurden Schulen begründet, in denen Förster mit höheren Qualitäten ausgebildet werden sollten, als es bislang der Fall war. Alle diese Schulen setzten sich anfangs zum Ziel, Förster und Jäger gleichzeitig auszubilden. Eine Aufgabe, die nicht gelang. Der natürliche Konflikt, der in beiden Berufsaufgaben liegt, war nicht ohne weiteres zu überwinden.
Der Niedergang des Berufsjägertums begann zunächst mit dem nunmehrigen Primat der Forstwirtschaft. Die jagdlichen Aufgaben der Berufsjäger bestanden – salopp formuliert – im Wesentlichen noch darin, die Residenzküche mit Wildbret zu beliefern und überschüssiges Wildfleisch zu veräußern. Zusätzlich zur Forstwirtschaft trug die Aufklärung zum Niedergang der Berufsjägerei bei: „Aufgeklärte” Landesherren waren verstärkt bemüht, das Wohl der Landbevölkerung in den Fokus zu rücken, also etwa auf völlig überhöhte Wildbestände zu verzichten bzw. die Untertanen von Jagdfronen zu entlasten.
Und nun wird es für den Chronisten – salopp formuliert – dünn. Denn wer mehr über das Wirken der Berufsjäger in der Zeit von 1848 bis 1934 erfahren will, wird enttäuscht. Es ist gleichermaßen erstaunlich wie befremdlich, dass sich in den Jagdzeitschriften, die ab 1838 existieren, nur ausgesprochen wenig bis nichts findet. Bemerkenswert ist eigentlich nur Edgar Freiherr v. Rotbergs „Der Jagdaufseher. Leitfaden für Berufsjäger und Jagdherren“, Neudamm 1910. Ihm geht es in seinem Buch um den besoldeten, also fest angestellten Berufsjäger. Und er müht sich auf 219 Seiten alle wesentliche Punkte in knapper Form abzuarbeiten. Das ist ihm auch gelungen. Der Blick in die Bücherwelt wie ein allerdings wegen Zeitmangels nur oberflächlicher Blick in Jagdzeitschriften bietet wenige Informationen über die Berufsjägerei in Kaiserreich und Weimarer Republik. Was aber wissen wir über diesen Zeitraum?
Die wesentlichen Fakten, die auf der Homepage des BDB zu finden sind, lauten: 1919, also nach Ende des Ersten Weltkrieges, und damit genau vor 100 Jahren, wurde der „Verein Westdeutscher Berufsjäger” gegründet, der später in „Verein Deutscher Berufsjäger” und schließlich in „Bundesverband Deutscher Berufsjäger“ umbenannt wurde. Dies geschah in einer Zeit, in der die bis dato bestehende Gesellschaftsordnung aus den Fugen geraten war. Die Monarchie hatte ausgedient. Deutschland lag schon wegen der zu leistenden Reparationen wirtschaftlich am Boden. Die Arbeitslosigkeit war gewaltig, die Wilderei hatte überhand genommen. In dieser Notlage kam es also zur Vereinsgründung. Sie erfolgte im Raum Münster. Bemerkenswert ist, dass der rasch wachsende Verein bereits ein eigenes Mitteilungsblatt herausbrachte. Seit 1926 galt dann die Deutsche Jäger-Zeitung als Pflichtlektüre für jedes Vereinsmitglied. Zudem hielt der Verband eine jährliche Hauptversammlung ab. 1923 wurde eine Vereinssatzung beschlossen, 1926 ein Vereinsabzeichen geschaffen, 1927 das Merkblatt „Der Berufsjägerstand” veröffentlicht.
Entscheidend für die Zukunft der Berufsjäger – und dies hatte der BDB frühzeitig erkannt – waren Berufsjägerprüfungen, die von einer öffentlich-rechtlichen Instanz durchgeführt wurden. Dies gelang zuerst in Preußen. Dort beschloss die Hauptlandwirtschaftskammer im Februar 1926, eine Hauptstelle für Berufsjägerprüfungen einzurichten. Schließlich wurde vom 17. bis 19. Oktober 1927 die erste amtliche, allerdings regionale Berufsjägerprüfung abgehalten. Um einmal Zahlen zu nennen: Bis zum Jahr 1930 wurden 29 Lehrherren anerkannt und 40 Lehrlinge zugelassen. Aller Anfang war schwer! Es gab zwar viele Bemühungen im Kleinen, aber der Durchbruch gelang nicht. Die Zeit für ein Erstarken des Berufsjägerstandes war noch nicht reif.
4. Der Neubeginn
Das Wiedererstarken der Berufsjägerei im deutschsprachigen Raum ist untrennbar mit dem Namen Ulrich Scherping (1889 bis 1958) verknüpft. Der war preußischer Forst- und deutscher Oberstjägermeister, aber auch SS-Brigadeführer . 1928 wurde Scherping Geschäftsführer des Reichsjagdbundes. Im Juli 1933 unterschrieb er als damaliger Vorsitzender des BDB einen Vertrag, durch den der Verein in den Verband deutscher land- sowie forstwirtschaftlicher Angestellter innerhalb der Deutschen Arbeitsfront überführt wurde. Dort wurde eine Fachgruppe Berufsjäger gebildet.
Die Berufsjägerei ist in jener Zeit auf neue und feste Füße gestellt worden. Der Landesjägermeister im Reichsjagdamt und Gaujägermeister der Provinz Sachsen, Ostermann schrieb 1941, ganz im Zeitgeist: „In der Zeit vor der Machtübernahme (also vor 1933, d. Verf.) hat das Berufsjägerwesen in Verkennung seiner Bedeutung und Wichtigkeit für die deutsche Jagd von den Behörden eine sehr stiefmütterliche Behandlung erfahren. Einen gefestigten einheitlichen Berufsjägerstand gab es nicht. Unberufene Elemente, meist in anderen Berufen gescheiterte, wurden mit der Jagdaufsicht betraut und als „Berufsjäger” in verantwortungsvolle Posten gestellt. Eine oft erbärmliche Entlohnung, kaum einem Trinkgeld entsprechend, die nicht zur Befriedigung der notwendigsten Lebensbedürfnisse ausreichte, hemmte eine gesunde Entwicklung der Berufsjägerei und förderte ihren sozialen und beruflichen Abstieg.”
Die Stellensituation änderte sich allerdings auch im Dritten Reich nicht. Denn weiterhin gab es nur wenige Posten im Vergleich zu dem zur Verfügung stehenden Jagdaufsichtspersonal. Darüber hinaus wurden wegen Kostenersparnis von Jagdherren vielfach weiterhin nebenberufliche Kräfte, etwa Gärtner, Kleinlandwirte oder Handwerker, mit der Jagdaufsicht betraut.
Am 19. November 1936 verfügte Reichsjägermeister Hermann Göring einen Erlass, der Ausbildung, Prüfung und Anerkennung der Berufsjäger im Reichsgebiet einheitlich regelte. Ab nun oblag dies der Deutschen Jägerschaft, sprich dem damaligen Jagdverband mit dessen Unterabteilung Berufsjäger. Es gab nun reichsweit zwei Prüfungen, einmal die Hilfs- und zum anderen die Revierjägerprüfung. An Dienstgraden wurde unterschieden zwischen 1. Lehrlingen, 2. Hilfsjägern, 3. Revierjägern, 4. ab Januar 1939 auch Revierobermeistern sowie 5. Wildmeistern. Letztere Berufsbezeichnung war – wie auch heute noch – ein Ehrentitel, den um das deutsche Weidwerk verdiente Berufsjäger von der Jagdorganisation verliehen bekamen. Die Bezeichnung Revierobermeister diente zur Kenntlichmachung des Ranghöheren, wenn zwei oder mehr Revierjäger im selben Beritt tätig waren. Und sie entfiel, wenn sich die Umstände änderten.
Der Lehrling sollte 16 bis 21 Jahre alt sein. Die Lehrzeit betrug mindestens zwei Jahre, wobei die Lehrstelle nach einem Jahr gewechselt und möglichst ein Hoch- sowie ein Niederwildrevier aufgesucht werden sollten. Bis Ende November 1944 fanden Prüfungen statt, die Durchfallquote lag bei rund 23 Prozent. Der lange gehegte Wunsch nach einer eigenen Berufsjägerschule erfüllte sich 1943. Scherping wählte dazu das ehemalige Rothschild’sche Schloss Schillersdorf in Mährisch-Schlesien. Dieses Berufsjäger-Ausbildungslager – so die offizielle Bezeichnung – wurde am 25. Januar 1945, also erst unmittelbar vor Kriegsende, aufgelöst.
Nach außen hin trat die Berufsjägerei einheitlich auf. Dies gründete in der „Uniformvorschrift für die geprüften Berufsjäger vom 16. Mai 1935“. Sie löste das bis dato existierende bunte Uniform-Durcheinander ab. Die Uniform ist übrigens der der Luftwaffe sehr ähnlich gewesen. Dies ging auf den Einfluss Görings zurück. Die Uniformvorschrift wie auch die übrigen Regelungen führen dazu, dass sich innerhalb des Berufsjägerverbandes zunächst neues Selbst- und Standesbewusstsein und schließlich auch ein guter Korpsgeist entwickelte. Kameradschaft wurde hochgehalten. Alles in allem ging es mit den Berufsjägern ab 1936 aufwärts: Es gab eine gründliche sowie einheitliche Ausbildung, der Staat förderte die Berufsjäger, und auch untereinander kam man sich näher. Die Truppe wuchs zusammen.
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 wurden zahlreiche Berufsjäger zur Wehrmacht eingezogen oder meldeten sich freiwillig. Die Mobilmachung verstärkte sich mit Start des Russlandfeldzuges am 22. Juni 1941. Der Zweite Weltkrieg und der Nationalsozialismus – das ist nachdrücklich zu betonen – waren Katastrophen!! Und sie endeten katastrophal! Am 8. Mai 1945 hörte das Deutsche Reich auf zu existieren. Ebenso waren sämtliche staatlichen Strukturen am Boden. Deutschland wurde von den Siegermächten geteilt. Ostpreußen, Schlesien und Hinterpommern abgetrennt.
Zwei deutsche Staatsgebilde entstanden, zwei völlig unterschiedliche politische und wirtschaftliche Systeme: einerseits die demokratische und föderalistische Bundesrepublik Deutschland, andererseits die sozialistische und zentralistische DDR. Das wirkte sich auf sämtliche Lebensumstände aus, und zwar massiv. In Schlagworten: hier freie Marktwirtschaft, dort Planwirtschaft, Pressefreiheit versus Zensur, hier Gewaltenteilung, dort Gewalteneinheit etc. Es sind folglich die beiden deutschen Staatsgebilde getrennt zu betrachten: In der DDR gab es keine Ausbildung zum Berufsjäger. Seit 1967 wurden in der Landwirtschafts- und Jagdschule Zollgrün im thüringischen Bezirk Jena jagdliche Fortbildungslehrgänge angeboten. Ab 1971 wurden dort in einem zweijährigen Fernstudium bis 1981 insgesamt 180 sogenannte „Meister der Jagdwirtschaft” ausgebildet. Diese waren vornehmlich als Jagdreferenten in den Kreis- und Bezirksjagdbehörden tätig. Ab 1980 gab es ebenfalls in Zollgrün den Studiengang zum „Fachingenieur für Wild-bewirtschaftung”. Um zum Ingenieurstudium zugelassen zu werden, benötigte der angehende Student einige Voraussetzungen. Die beiden wichtigsten waren: 1. ein forstlicher oder agrarwissenschaftlicher Hoch- oder Fachhochschulabschluss sowie 2. der Nachweis über eine mehrjährige Tätigkeit in der sozialistischen Jagdwirtschaft.
Anders in Westdeutschland: Hier beginnt der Neuanfang am 10. April 1946. Denn an diesem Tag gründet sich mit Genehmigung der britischen Militärregierung in Wunstorf unweit Hannovers der Bund Deutscher Berufsjäger (BDB). Dieser Verband existierte bis Mitte der 1950er Jahre, verlor allerdings viele Mitglieder an die sogenannte „Hauptabteilung Berufsjäger” des Deutschen Jagd(schutz-)Verbandes (DJV). Bis 1980 fanden die Berufsjäger dort ihre einzige Interessenvertretung. Auf Dauer waren die berufsständischen Interessen mit denen von – salopp, aber keinesfalls despektierlich formuliert – „Freizeitjägern” nur bedingt kompatibel. Dieses Konfliktpotential führte 1956 zunächst zur Abspaltung der bayerische Berufsjäger, die sich im „Bund Bayerischer Berufsjäger” neu formierten. Im Februar 1980 folgten die Berufsjäger der übrigen westlichen Bundesländer dem Beispiel der Bajuvaren und gründeten den Berufsverband Deutscher Berufsjäger, der 1993 in Bundesverband Deutscher Berufsjäger umbenannt worden ist. Seit 1986 erscheint jährlich das Mitteilungsblatt „Der Berufsjäger“. Der Verein hat aktuell 926 ordentliche und außerordentliche Mitglieder.
Die angehenden Berufsjäger wurden anfänglich, genauer ab Juni 1963, in der Waldarbeiterschule Neheim-Hüsten (Westfalen) unterrichtet und geprüft. Dies geschah bis 1967. Danach war Springe (Niedersachsen) Schulort der Berufsjäger bis August 2010. Und ab dann ist dies die Berufsbildende Schule in Northeim (Niedersachsen). Die Meisterprüfung ist weiterhin in Springe. Der Wechsel nach Northeim hing mit einer umfassend geänderten Ausbildungsverordnung für den Beruf „Revierjäger/in” zusammen. Der Weg zum Berufsjäger wurde zeitgemäß und zukunftsorientiert. Geschäftsführer sowie Wildmeister Hermann Wolff traf bereits damals den Nagel auf den Kopf, als er wörtlich sagte: „Die Reform der Revierjägerausbildung ist ein Meilenstein in der Geschichte des Berufsstandes”. In der Tat: Denn sie verknüpfte jahrhundertealte Traditionen mit den Erfordernissen der Moderne. Sie und die Entscheidung für einen hauptamtlichen Geschäftsführer stärkten Ansehen sowie Stellung des Berufsstandes und führten darüber hinaus zu neuen Arbeitsplätzen für Berufsjäger, etwa in Nationalparks oder aber auch in staatlichen Forstämtern. Dieser Trend hält an …
Ein zentraler Punkt in der Geschichte des BDB, aber nicht nur des BDB, sondern aller Deutschen war und ist die Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Zunächst verhinderten bzw. erschwerten allerdings einige widrige Umstände ein Zusammengehen der ost- und westdeutschen Berufsjäger. Doch schließlich gelang es, dass – wie auch ansonsten in Deutschland – zusammenwuchs, was zusammengehört.
5. Schlusswort
Die Berufsjäger und damit auch der BDB schauen auf eine Vergangenheit mit Tiefen und Höhen zurück. Sie steuern – davon bin ich felsenfest überzeugt – in eine gute Zukunft. Allerdings haben sie keine Geschichte. Es fehlt dem BDB an einer Chronik. Das könnte ja bis zum nächsten Jubiläum – also 2044 – geändert werden. Denn Herkunft ist Zukunft oder wie der berühmte Kinderbuchautor und Kunsthistoriker Sir Ernst H. Gombrich einmal schrieb: „Gerade wer etwas Neues machen will, muss das Alte gründlich kennen.” In diesem Sinne ad multos annos!
Dr. Rolf Roosen, Verlag Paul Parey/Singhofen