Autor: Dr. Michael Petrak, Bonn
Das Wildschwein ist unter allen Paarhufern in Mitteleuropa die Art mit der höchsten Zuwachsrate. Die effektive Zuwachsrate, bezogen auf Grundbestand und Jagdjahr bewegt sich zwischen 200 und 300 Prozent. Unter heutigen Bedingungen tragen bereits die Frischlinge in erheblichem Umfang zum Zuwachs bei – und deshalb müssen gerade sie besonders intensiv bejagt werden.
Die biologisch normale Rauschzeit fällt in den Dezember/Januar. Hinzu kommt eine zweite Rauschzeit im September/Oktober, d.h. zur Rothirschbrunft. Nach einer Tragzweit von 108 bis 120 Tagen (Mittelwert 114 Tage) kommen die Frischlinge im April zur Welt. Die Wurfgröße liegt meist bei fünf bis acht Frischlingen, das Geburtsgewicht liegt zwischen 740 g und 1.090 g.
Bei gutem Fraßangebot und frühem Frischen können die Bachen im gleichen Jahr ein zweites Mal rauschig werden. Starke Leitbachen und stabile Sozialstrukturen gewährleisten über die Synchronität des Rauschig-Werdens am ehesten zeitgleiches Frischen innerhalb der Rotte.
Frischlinge nehmen bereits ab einem Alter von 8 Monaten und einem Gewicht von 30 kg, gelegentlich schon ab 20 kg an der Fortpflanzung teil.
Frischlinge und Überläufer bestreiten heute rund 80 Prozent des Zuwachses. Nach den Ergebnissen von Neef (2009) steigt der Anteil sexuell reifen Frischlingsbachen ab dem 7. Lebensmonat bis zu einem Jahr signifikant an.
Die individuelle Konstitution hat auch einen signifikanten Einfluss auf die Fruchtbar-keit. Abweichende Rausch- und Frischzeiten werden durch schlecht strukturierte Bestände begünstigt.
Die Säugezeit, während der Bachen nicht paarungsbereit sind, beträgt zweieinhalb bis drei Monate. Die Rotten sind ortstreu und verteidigen ihr Revier gegen fremde Rotten. Die Rottenstärke (max. 30 bis 40 Stück) ist von Jahreszeit, Ernährungslage und Wilddichte sowie Zuwachs abhängig.
Die hohe Zuwachsrate und der hohe Beitrag der Frischlinge und Überläufer zum Zuwachs sind der Grund dafür, dass neben einer anziehend hohen Jagdstrecke ein Frischlingsanteil von 70 – 80 Prozent zur Begrenzung von Beständen notwendig ist.
Das Energieangebot in der Kulturlandschaft ist hoch
Die ursprüngliche Bedeutung der Zuwachsentwicklung des Schwarzwildes von der Waldmast (Eiche, Buche) hat sich bis zum heutigen Tage relativiert, da ausreichend Ersatznahrung zur Verfügung steht. Geänderte Anbauformen in der Landwirtschaft erhöhen nicht nur das Fraß-, sondern auch das Deckungsangebot. Nach wie vor besteht jedoch eine enge Abhängigkeit der Zuwachsdynamik von Mastjahren.
Als Allesfresser nehmen die Sauen alle verdaulichen pflanzlichen und tierischen Stoffe einschließlich Fallwild und Aas auf. Beim Finden des Fraßes an der Bodenoberfläche oder in geringer Tiefe spielt das außerordentlich gute Riechvermögen eine sehr wichtige Rolle („Trüffelschwein“).
Favorit auf dem Speiseplan des Wildschweins ist die Baummast – erwachsene Sauen nehmen täglich bis zu 5 kg Eicheln, Bucheckern und Nüsse auf. Hinzu kommen ober- und unterirdische Teile vieler anderer Waldpflanzen wie Adlerfarn, Weidenröschen, Wegerich, Gräser, Seggen, Simsen und Binsen, daneben Blätter und Früchte von Heidelbeere und Himbeere. Auch Feldfrüchte wie Kartoffeln, Mais, Hafer, Gerste, Rüben, Bohnen, Erbsen, Wicken, Klee und Luzerne sind beliebt.
Auf Grünland führt die Suche nach Engerlingen im Boden (bis 900 Larven wurden im Magen einer Sau gefunden) zu Wildschäden, während im Wald die Bodenauf-lockerung erwünscht ist.
Wirbeltiere wie Frösche und Eidechsen werden eher zufällig erbeutet, aber auch Kleinsäuger und Jungwild wie Hase, Kaninchen und Rehkitze sowie Gelege von Bodenbrütern.
Durch rasche Beseitigung von Fallwild, Aufbruch und Aas betätigen sich die Sauen wie der Fuchs als Gesundheitspolizei der Natur. Dies erklärt auch, warum einge-schleppte Tierseuchen wie die Schweinepest für Schwarzwild so gefährlich sind.
Die hohe Zuwachsrate beim Schwarzwild ist auch eine Anpassung an Prädatoren – in der ursprünglichen Fauna ist praktisch nur der Wolf für das Wildschwein wirklich gefährlich. Die ausgesprochen hohe Aggressivität von Wildschweinen gegenüber Hunden, die sie bedrängen, hat also einen stammesgeschichtlichen Hintergrund.
Dies erklärt auch, dass aus der Praxis berichtete Phänomen, dass sich Sauen in Gebieten mit Wolfsvorkommen bei Ansitzdrückjagden kaum noch durch Hunde mobilisieren lassen.
Streckenstruktur und Zuwachs
Streckenstruktur und Bejagungsintensität beeinflussen die Zuwachsdynamik. Mangelnde Frischlingsbejagung und Eingriffe in den sozial tragenden Bestand erhöhen die Zuwachsdynamik
Der Vergleich der Bundesländer zeigt dies deutlich. Bei sonst vergleichbaren Bedingungen ist die Steckendichte umso höher, je „großzügiger“ die Freigabe ist.
Das Reproduktionsgeschehen hat sich in den letzten Jahren beim europäischen Wildschwein deutlich verändert. Die zunehmende Verlagerung auf die jungen Wildschweine begünstigt die Beschleunigung des Wachstums.
Daraus folgt auch, dass zur Begrenzung von Beständen durch ausreichende Bejagung in der Jugendklasse entscheidend ist. Dieser Faktor kann später – etwa durch die Bejagung der höheren Altersklassen – nicht mehr ersetzt werden.
Unter Berücksichtigung der Zuwachsrate haben Frischlinge in Nordrhein-Westfalen einen Anteil von etwa 75 Prozent an der Population. Zudem sind die Frischlinge im Unterschied zu Nachbarbundesländern während des gesamten ersten Lebensjahres Frischlinge.
Aus der Zuwachssituation folgt unmittelbar die Notwendigkeit zu einem hohen Eingriff in die Frischlingsklasse, sie erklärt darüber hinaus auch, dass Schonzeitaufhebungen für Überläufer die absolute Ausnahme bleiben müssen.
Andernfalls würde die Zunahme der Schwarzwildbestände genauso gefördert wie in anderen Bundesländern – was niemand wollen kann.
Literatur: Neef, J, 2009: Untersuchungen zur Reproduktionsdynamik beim mitteleuropäischen Wildschwein, Gießen, VVB Laufersweiler Verlag