Autor und Fotograf: Wildmeister Matthias Meyer
Meist erscheinen die Frischlinge kurz nach der Bache.
Die Bachen haben gefrischt. Die Überläufer sind jetzt häufig und früh unterwegs. Nicht nur das Licht zum sicheren Ansprechen ist morgens und abends länger, sondern der Jäger ist wegen der Rehböcke ohnehin häufig im Revier – ideal, um nach einem zeitigen Morgenansitz noch herrlich auf Sauen zu pirschen.
Die schmale Sichel des gerade aufgehenden Mondes erhebt sich übergroß und fast schon rötlich, als ich zeitig morgens zum Ansitz aufbreche. Noch liegt Dunkelheit über dem verschlafenen Dorf, doch im Mai kommt das erste Büchsenlicht schon kurz nach vier. Während der kleine Rest des abnehmenden Mondes langsam am Himmel emporsteigt, erreiche ich den Pirschweg zur Kanzel. Das Wärmebildgerät zeigt im Bereich des Pirschweges und um den Sitz herum kein Wild, das der Jäger sonst im Dunkeln zu leicht vertreten könnte. Auch ein erster Blick vom Hochsitz bestätigt, dass die lange Talwiese noch ohne Wildbesuch ist.
Sind die ersten Maitage, wenn die Jagd auf Rehwild beginnt, oft lausig kalt, wird es zunehmend angenehmer morgens auf die Jagd zu gehen. Endlich sind die Tage wieder länger. Vorbei sind die Spätwinter- und Vorfrühlingsmonate, wo die Sauen nur Schatten sind und ihre Bejagung auf den nassen Wiesen notwendige Schadensprävention darstellt. Ganz anders jetzt im Mai, wo sich die noch unerfahrenen Überläufer auf dem verspäteten Rückwechsel vom Feld in den Einstand abpassen lassen. Ohne die Führung einer über die Jahre erfahren gewordenen Bache verbummeln sie morgens gerne die Zeit.
Während die Bache erneut im Wurfkessel bei den neuen Frischlingen liegt, ziehen ihre nun einjährigen Jungen in dem bisher bekannten Streifgebiet ihre Wechsel. Seit Mitte April steuern sie nach wie vor die in Waldnähe gelegenen Maisfelder an und durchwühlen sie auf der Suche nach den Saatkörnern oder machen sich über das nun saftige Grün der Wiesen und Kleeschläge her, welches sie, eifrig mit ihrem Pürzel wedelnd, gierig abgrasen wie Kühe. Noch ist die Vegetation in einer Höhe, die einen sicheren Blick auf die Bauchlinie meist überall freigibt. Zwar ist der Muttertierschutz gerade jetzt wichtiger als sonst im Jahr, aber zu keiner anderen Zeit gelingt ein zweifelsfreies Ansprechen, ob ein Stück führt oder nicht als jetzt. Diese Chance muss der Jäger nutzen, denn das Zeitfenster, um sicher und gut Strecke zu machen, bleibt leider mit fortschreitender Vegetation sehr schmal. Selten gelingt es, im Herbst und Winter den Zuwachs bei den Sauen komplett zu erlegen. Immer wieder schaffen es erfahrene Bachen, ihre Rotten aus dem Gefahrenbereich herauszuführen. Immer wieder stößt der Jäger im Frühjahr auf Bachen, die noch ihre fünf bis sieben vorjährigen Frischlinge führen, oder es wechseln aus anderen Gebieten gerade diese momentan führungslosen Überläuferrotten unvermittelt ins Revier ein. Ziehen die Überläufer anfangs noch komplett umher und halten sich im weiteren Dunstkreis des neuen Wurfkessels auf, sondern sich die Keilerchen bald ganz ab und erweitern diese Kreise, während die weiblichen Stücke fortan wieder zur Bache dazustoßen und mit eigenen Frischlingen dann die ursprüngliche Rotte vergrößern helfen.
Noch dauert es ein paar Wochen, bis sich auch bei den Überläuferbachen der Nachwuchs einstellt. Umso wichtiger, gerade jetzt noch die eine oder andere von ihnen zu erlegen. Während der weibliche Nachwuchs also den Kontakt zur Bache sucht und aufgrund der kleinen Frischlinge der Bewegungsradius sehr eng ist, erweitern die Überläuferkeilerrotten ihre Ausflüge und stecken sich immer häufiger in den weiten Rapsschlägen oder anderen hohen Strukturen der Feldflur, wo es zunehmend schwerer wird, ein passendes Stück dann auch zu erlegen.
Je nach Witterung blüht der Raps bereits ab Anfang Mai. Gibt es nun genug Regen, schiebt er kräftig an. Spätestens zum Ende der Blüte gegen Ende Mai suchen ihn die Überläuferkeiler gerne als Tageseinstand auf. Hier haben sie Ruhe und können sich in der hohen Feldflur nun ausgiebig bewegen, um nach Fraß zu suchen. Nach der Blüte verstricken sich die grünen Schoten zu einem dichten Pflanzendach. Darunter ist es selbst an heißen Tagen angenehm kühl. Die Sauen schieben sich ihre Kessel in den blanken Ackerboden oder polstern ihn mit klein gebissenen Rapsstengeln aus. Die in dieser Zeit beruhigte Feldflur macht es ihnen möglich, jederzeit nach Fraß zu suchen und aktiv zu sein. Häufig wechseln sie aus dem Raps dann in benachbarte Getreidefelder und fressen die milchreifen Früchte, ohne gezwungen zu sein, auf Freiflächen auszutreten. Wo sich innerhalb der Feldflur auch noch Möglichkeiten auftun, an Wasser zu gelangen, ist der Sommerlebensraum perfekt. Das können banale Gräben ebenso sein, wie kleine Tümpel oder Schilfbrücher. In dieser Zeitspanne und Konstellation ist eine erfolgreiche Jagd eher schon Zufall. Selbst an günstig erscheinenden Stellen eine kurzfristige Kirrung anzulegen, scheitert oft, da den Sauen nun deutlich attraktiverer Fraß zur Verfügung steht als trockener Körnermais. Hingegen sind Felder, die mit Rotklee oder Süßlupine bestellt sind, jetzt wahre Sauenmagneten. Hier lohnt es sich, bei der Pirsch immer wieder mal vorbeizuschauen oder gar den einen oder anderen leichten Leitersitz so aufzustellen, dass er ungestört und vor allem vom Wind her gut erreicht werden kann.
Sind die Sauen bereits ins Feld umgezogen, hilft hier nur häufiges Abfährten und die Stellen, wo frisch gebrochen wurde, Malbäume und Stellen zum Suhlen festgestellt wurden, regelmäßig anzulaufen. Ideal sind auch Tage mit anhaltendem Landregen. Klart es wieder auf, zieht es die Überläufer aus der Deckung auf die schmalen Erd- und Graswege, die durch die Äcker führen. Hier brechen sie in aller Gemütsruhe am Rand nach Würmern und sammeln Schnecken und Frösche ein. Diese Graswege werden bei den Sauen umso beliebter, wenn sie gemulcht sind. In den zerkleinerten Grasresten finden sie reichlich Fraß. Allein schon der eigenartige Duft von feuchtem Mulchgut scheint die Sauen deutlich anzuziehen. Sie lassen sich nun gut angehen und der Jäger hat einen freien Blick auf die blanke Bauchlinie. Besser kann die Situation zum fehlerfreien Ansprechen nun nicht sein. Doch bevor es in wenigen Wochen so weit ist, gilt es weiterhin überwiegend die Morgendämmerung zu nutzen, um die einziehenden Sauen abzupassen.
Zu der Zeit lassen sich gerade diese Überläuferkeilerrotten am leichtesten bejagen. Sie sind noch sehr unvorsichtig, abends bereits weit vor Sonnenuntergang rege und morgens die letzten, die in den Wald einziehen. Der Pinsel hebt sich gut sichtbar von der geraden Bauchlinie ab. Da es sich meist um Wurfgeschwister handelt, sind sie alle etwa gleich groß. Noch einfacher zum Ansprechen sind die Frischlinge aus dem Spätwinter. Sie laufen schon mit der Rotte mit und zeigen noch deutlich ihre Streifentarnung. Mit acht bis zehn Kilogramm Gewicht lassen sie sich schon verwerten. Ihr Abschuss sollte bei gemischten Rotten im Feld immer Vorrang haben. Hier gilt es, die Rotte von möglichen Schadflächen zu vergrämen. Krampfhafte Versuche, in solchen Situationen eine passende größere Sau zu erlegen, scheitern häufig. Zu leicht werden die noch kleinen angesaugten Striche der Bachen in der Winterborste hektisch übersehen.
Langsam hebt sich der leichte Morgennebel über der Talwiese und wabert unterschiedlich dicht je nach Windströmung über die Wiese. Als es heller wird, sind einige bräunliche Flecken im anschiebenden Gras zu sehen – Sauen! Trotz aufmerksamer Beobachtung waren sie unentdeckt in das schon höhere Gras gewechselt, das nur die obere Körpermitte freigibt. Obwohl anzunehmen ist, dass es aufgrund der Farbe und gleicher Größe Frischlinge vom Vorjahr sind, ist die Bauchlinie für eine korrekte Ansprache nicht sichtbar. Zusätzlich birgt die hohe Deckung immer die Gefahr, dass man intuitiv mit dem Absehen aus der Deckung herausbleibt und der Schuss folglich zu hoch sitzt, was gerade beim Schwarzwild unweigerlich zu Krellschüssen führt. Die Sauen verschwinden langsam in einer Bodensenke und wechseln dann scheinbar in den Wald zurück, ohne sich nochmals zu zeigen. Das erklärt auch, warum mir ihr Anwechseln verborgen blieb. Nachdem sich kein Rehwild zeigt, entschließe ich mich zu einem kleinen Pirschgang, der mich im großen Bogen zum Auto zurückbringt und die Möglichkeit eröffnet, Einblick in einige versteckt liegende kleine Winkel zu erlangen, die nahe von Deckungsmöglichkeiten für frische Klee- und Grasäsung sorgen. Diese Ecken sind eigentlich in jedem Revier zu finden und können bei wenig Aufwand zu vom Wild gern aufgesuchten Stellen werden. Neben einer beliebten Mischung aus Klee, Süßgräsern und Kräutern schaue ich alle drei bis vier Jahre darauf, dass ich sie im Spätwinter mit Magnesiakainit dünge. Zum einen verdrängt der Dünger das sich gerade an schattigen Plätzen ausbreitende Moos, zum anderen ist es die einzige Möglichkeit, dem Wild pflanzenverfügbares Natriumchlorid anbieten zu können. Entsprechend gern steht das Wild auf diesen kleinen Flecken.
Ein weiterer Trumpf für den Sauenjäger können um diese Zeit Wühlstreifen sein. Dazu eignen sich alle ungenutzten Flächen im Wald, die frei von Wurzeln und Wurzelstöcken sind, so dass sie mit Grubber oder Fräse bearbeitet werden können. Insbesondere eignen sich schattige und daher oft feuchte Schneisen, in denen die Sauen bevorzugt brechen. Zum einen der Feuchtigkeit wegen, zum anderen fühlen sie sich im dunklen Bereich deutlich sicherer. Wo es sich einrichten lässt, sollten wir bereits ab März die Wühlstreifen einrichten, damit sie bis in den Mai bekannt sind. Selbstverständlich erschließen wir die Hotspots mit Pirschwegen und Ansitzeinrichtungen, solange küselnde Winde keine Probleme bereiten.
Zu keiner anderen Jahreszeit bietet sich die Pirschjagd besser an als im Frühjahr, wenn alles Wild vertraut und aktiv ist. Zur Ausrüstung zählt neben einer leichten führigen Büchse und einem Pirschglas – möglichst mit integriertem Entfernungsmesser – unbedingt ein brauchbarer Pirschstock. Von allen bekannten Typen und Variationen ist mindestens das Dreibein, besser noch ein vierbeiniges Scherenmodell zu wählen. Mit fest eingelegter Waffe lassen sich so selbst Präzisionsschüsse auf kleine Frischlinge oder weiter weg stehende Sauen sicher umsetzen. Allerdings muss man immer wieder die Handhabung üben, damit der Aufbau nahezu blind im Bedarfsfall erfolgen kann. Nur selten dauert die jagdliche Situation für einen Schuss während der Pirsch so lange, dass man die Technik des Aufstellens dort nach Gebrauchsanweisung durchführen kann.
Langsam setzt feiner Regen ein. Die leisen Geräusche beim Pirschen gehen unter in der Geräuschkulisse. Meist lässt es sich auf dem begrünten Mittel- oder Randstreifen entlang des Forstweges leise vorankommen. Nur an ganz wenigen Stellen wird es notwendig, mit Bedacht über den losen Schotter zu kreuzen.
Hin und wieder setzt es einen Rempler, wenn sich zwei Keilerchen zu nahekommen. Noch stehen sie in einer leichten Senke und vor allem spitz. Als sich die ersten über die Kante schieben, liegt die Waffe bereits fertig im Jakele- Pirschstock. Als einer ausschert, sich breit stellt und der Hintergrund frei ist, liegt er im Knall. Etwas verwirrt rennen die restlichen durcheinander und verhoffen, als bereits ein weiteres Keilerchen im Schuss verendet. Ein spannender und stimmungsvoller Morgen endet, wie so oft auf der Jagd, noch in den letzten Momenten mit einem wahren Höhepunkt.