Jagen wie einst – Hahnenfieber und Schnepfenstrich

Autor: Wildmeister Jens Krüger
Foto: Wildmeister Jens Krüger

Der alte Veteran liegt, viel viele Balzjahre hat er erlebt.

Meine kindliche Vorfreude auf die Reise war grenzenlos. Hatte ich doch meine letzten Birkhähne, die kämpfenden Ritter, in meiner Jugend gesehen und jetzt gab es ein Wiedersehen in den russischen Mooren.

Doch die Vorfreude wurde vorerst in Moskau stark gebremst. Eine Metropole mit 16 Millionen Einwohnern, eine ungewöhnliche Großstadt, die man meiner Meinung nach nicht gesehen haben muss. Wie stehen doch dort Armut und Reichtum dicht nebeneinander, die sich überall offenbart. Aber es ist wohltuend gut, wieder in Armut versetzt zu sein. Die Wertschätzung des eigenen Lebens kommt zurück. Meine Frau Regina wünschte sich auf dieser Reise auch einmal „Kultur“ und als Paar haben wir gelernt, uns zu arrangieren. Mein glühendes Jägerherz wird wohl erst in der Urne erkalten und die wenigen Tage waren schnell überstanden.

So brachte uns der Flieger nach Kirov, wo uns Anna, die Dolmetscherin und Pawel, mein Jagdführer uns abholten. Endlich waren wir dort, wo die bescheidenen Menschen leben, sich unterstützen, Gemeinsamkeiten haben und sich nicht auf den Schultern der anderen immer weiter nach oben arbeiten. Menschen der ländlichen Region sind für gewöhnlich „unverdorben“. Ich weiß nicht wer, aber ein weiser Mann sagte einmal: „Mit der Intelligenz des Menschen steigen seine Ansprüche im Leben!“ Also sind wir Auslandsjäger nun wohl dumme Menschen. Wir lieben den Ursprung der Lebensform, die Natur in ihrer Unversehrtheit.

Die Chemie in unserer Gruppe stimmte sofort. Der prüfende Blick, ein erstes Abtasten mit dem Auge, intuitiv den anderen Menschen spüren und so war die kindliche Freude auf die kommenden Jagdtage wieder zurück. Eine unbeschreibliche Zufriedenheit machte sich auf dem Wege zum Jagdhaus in mir breit, das wir erst spät in der Nacht erreichten. Ein Morgenansitz kam nicht mehr in Frage.

Am Morgen des ersten Jagdtages hatte der Winter die Region noch fest im Griff. Hagel, sogar Schnee, die Natur zeigte uns beim ersten Reviergang ihr Zusammenspiel mit den Elementen. Rauschende Bäche, erzählende Birken im Wind, Schnee im stillen Wald. Nur die endlosen Felder waren stellenweise schneefrei.

Die Erlenbrüche waren der Lebensraum der Haselhühner. Überall fanden wir Birkwildgestüber. Selbst wenn die Balz noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hatte, war Pawel sehr zuversichtlich. Ein Ansitzschirm war schnell an einem bestätigten Balzplatz errichtet. Wir entdeckten Wolfspuren und Elchfährten. Vom Bruder Bären nicht eine einzige Spur. Die Harmonie zwischen Jagdführer und Gast stieg. Wir alle genossen die Schönheiten der Natur. Persönlich konnte ich die erste Birkhahnbalz nicht abwarten. Kaum zu glauben, aber wir werden in der gesamten Zeit keinen weiteren Menschen sehen, außer natürlich unsere Köchin Maria und den Jagdhelfer Alexandre. Er musste stets dabei sein, da sich zur Schneeschmelze der russische Geländewagen festfahren kann.

Wir sitzen am Nachmittag in dem Weidenschirm: Regina und ich allein!

Bereits auf dem Weg dorthin machten wir zwei Birkhähne hoch. Ich konnte selbst entscheiden, welchen Hahn ich erlegen wollte, nur nicht den Platzhahn. Pawel redete von bis zu fünfzig Birkhähnen, die einfallen könnten und gegen 18 Uhr war es tatsächlich so weit, sie kamen fast alle gleichzeitig. Das Adrenalin presste sich durch meine Adern. Direkt vor unseren Augen, zwischen zehn und dreißig Metern, das Balzspiel meiner fast vergessenen Träume. Wie lange hatte ich mich danach gesehnt. Mit so einer aktiven Abendbalz hatte ich nicht gerechnet. Sie kullerten mit nach vorn gestreckten Körpern und aufgestellten Sicheln gegeneinander, sie zischten, kämpften als wären sie lebenslange Feinde. Wir konnten uns an ihrer Schönheit nicht satt sehen. Vorerst flogen die Bilder durch die Kamera, alles für die Erinnerung festhalten. Ich sprach an: junge Schneider, mittelalte Hähne, reife starke Platzhähne, die kein Pardon mit den Gleichaltrigen kannten.

Die geschwollenen Rosen, das bauschwarze Federkleid, die geschwungenen Sicheln, der Ausdruck natürlicher Schönheit. Die Sonne senkte sich dem Horizont zu und plötzlich machte sich eine alte Entschlossenheit in mir breit. Die Kamera wurde mit Pawels Doppelbüchse gewechselt und nur Sekunden später lag ein mittelalter Birkhahn vor dem Schirm, ohne sich noch zu bewegen. Momente wie diese prägen sich zeitlebens bei uns Jäger ein. Als ich den edlen Vogel in den Händen hielt, war sein ganzer Glanz noch ausdrucksstärker.


Der Birkhahn ist an Schönheit kaum zu überbieten.

Die Weideflächen des einstigen Milchbetriebes der Kolchosen liegen seit Jahren brach, ideale Lebensräume. Was streiten wir uns doch über Rückgangsursachen wie Prädatoren, Wetter, Landwirtschaft. Stimmt der Lebensraum, droht der Artenvielfalt keine Gefahr. Wir hören Bekassinen balzen, Gänse ziehen, Kraniche rufen und natürlich das Quorren der Waldschnepfe. Eine Stimmung als gäbe es nur uns auf dieser Welt.

Gegen Mitternacht werden wir arg geweckt. Im Traum saß ich gerade noch auf Wölfe an und der Wind küselte sehr zu meiner Unzufriedenheit. Ich hatte wenig Kraft in meinen Gliedern beim Aufstehen, doch Pawel gab uns über Anna zu verstehen, dass Eile geboten war. Ein Tee weckte nur ein wenig die Lebensgeister. Erst die Autofahrt zum Auerhahnbalzplatz lies uns hellwach werden. Eigentlich wollte ich keinen Auerhahn mehr in meinem Leben erlegen, doch er war mit im Angebot und wenn, dann wollte ich, dass es Regina miterlebt.
Den Waldweg, den wir befuhren bzw. durchflogen, hätte ich selbst nicht mal mit einem Quad befahren. Was dieser russische Geländewagen kurz UAZ leistet, grenzte an ein Wunder. Mehrmals schloss ich sogar die Augen. Das Auto bewegte sich wie ein Schiff, ging rauf und runter, brach im Eis der riesigen Pfützen seitlich und frontal ein. Doch wir kamen durch. Für den Ernstfall waren schon Bretter, Wagenheber und der ruhige Alexandre mit von der Partie.

Es herrschte eine klare windstille Nacht und minus 5 Grad. Wir waren froh, nach dem Zwiebelprinzip gekleidet zu sein. Unter einer riesigen Trauffichte fanden wir nach langer Pirsch Platz zum Verhören. Lange Zeit hörten wir die Balzstrophe des großen Hahns nicht, doch da war es urplötzlich: das Knappen, das Trillern, der Hauptschlag und das Wetzen als Abschluss. Er tat sich schwer, sich richtig einzusingen. Pawel meinte, es wäre zu kalt und die Natur läge zwei Wochen zurück. Dann geriet der Hahn in seinen Liebestaumel. Er sang in einer Regelmäßigkeit, dass uns das Anspringen zu dritt ermöglichte. Erst verfluchte ich den halben Meter Schnee, doch er war durch den Frost hart gefroren wie Beton. Im Doppelschritt kam unsere kleine Einheit dem Gesuchten näher, als hätten wir nie etwas anderes gemacht. Ich freute mich über die Silben des Auerhahns, die Regina beim Hauptschlag sehr gut deutete. Gemeinsames Erleben ist doppelte Freude, das war mir so wichtig.

Aus einer alten Fichtenkrone lässt er seine Strophen klingen. Obwohl wir drei auf Schrotschussentfernung herankamen, konnten wir das ersehnte Ziel in den dunklen Zweigen nicht ausmachen. Kein wackelnder Ast, kein Schatten, der verräterisch sein konnte. Es kommt wie es kommt, die Zeit holt uns ein und der stolze Vogel ritt ab zur Bodenbalz. Der Morgen brach an und die Zeit des Anspringens war vorbei.

Am späten Nachmittag besetzten wir wieder den Schirm des Vortages. Hähne strichen ab, die Jagd scheint hier wenig zu stören. Ein Brachvogel war mit seinem flötenden Ruf zu hören. Hier wird er überleben, kein Kreiselmäher wird sein Gelege vernichten. Gut, dass er den weiten, den sicheren Weg genommen hat. Wir fotografieren, sprechen an und stellen fest, dass bei der Abendbalz nur die Herren vertreten sind. Keine Henne zeigt sich, dennoch herrscht reger Balzbetrieb. Doch plötzlich war die Bühne leer. Erst glauben wir, dass an diesem windstillen Abend die Kamera unsere Tarnung aufdeckte. An jeder Feder ein Auge, sagt man dem Birkwild nach, doch ein Habicht schien die Ursache zu sein. Sie scheinen die Balzplätze genauso zu kennen und erhoffen sich ihren Jagderfolg.


Zuletzt in der Jugend, jetzt im Alter, die erlegten Schnepfen vom Strich

Waidmannsheil hatten wir dennoch an diesem Tag. Der atemberaubende, abendliche Schnepfenstrich lässt drei Waldschnepfen vom Himmel fallen, die in Schrotnähe kamen. Wir hörten und sahen zehn dieser Lemikolen (taubengroßer Watvogel) und nur die Schüsse zerrissen die Stille des Abends. Feuerrot verabschiedete sich die Sonne an diesem Tag. Schönheiten, die sich nicht in angemessene Worte fassen lassen.

Ein anschließendes Dampfbad in der Sauna brachte wieder Lebenskraft in die Glieder. Fließendes Wasser gab es nicht in diesem Haus. Wir sind glücklich wie kleine Kinder und das im fortgeschrittenen Alter. Wir essen Wildschwein, Schnepfen, Elch, Birkwild, Hecht, Zander und trinken Birkenwasser. Was wollen wir mehr.
Der nächste Morgen wiederholt sich im gleichen Ablauf. Es ist wieder absolut windstill, doch der Auerhahn will nicht balzen. Pawel hatte nach mehrmaligem Standortwechsel einen Hahn gehört. Der Schnee ist weicher, die Temperaturen waren gestiegen. Wir taten uns schwer im einbrechenden Schnee, doch wir kamen bis auf 35 Meter heran. Deutlich zeichnete sich der Hahn vom Horizont ab. Stimmte der Hahn sich wieder ein, verkürzten wir die letzten Meter. Bei jedem Schritt verlor ich nie den Hahn aus dem Auge, was für ein prägendes Bild. Er erwartete ungeduldig auf das Erscheinen seiner Frauen. Doch als hätte er eine Eingebung. Mit wenigen lauten Schwingenschlägen ritt der große Vogel davon. Ich war noch nicht einmal enttäuscht. Auf dem Rückweg begleitete uns eine singende, äußerst aktive Vogelwelt wie ich es vorher in der Intensität niemals gehört hatte, sie stimmten das neue Frühjahr ein.


Ein alter und ein junger Birkhahn

Am späten Nachmittag fanden wir uns in unserem kleinen Schirm wieder ein. Zu unserer Überraschung waren die Birkhähne schon am Balzplatz und ehe wir versahen, war die Bühne des Geschehens wieder leer. Das Wetter, ein Traum, wolkenloser blauer Himmel, fast 20 Grad. Wir genossen die stille Einsamkeit, lauschten den Vogelstimmen und bestimmten fast vergessene Gesänge aus der Kindheit. Die Brachvögel, Kiebitze, die vielen Sumpfvogelarten, der Pirol war dabei. Gegen Abend kamen Eulenarten und die Bekassine hinzu. Selbst der Kuckuck, der Frühlingsbote war zuhören. Ich hatte den Schmarotzer nicht so weit im Osten vermutet und dass in einer unglaublichen Anzahl. Eine Wieseweihe gaukelte über die unendlichen Felder, brachte das Birkwild ständig auf Trapp, obwohl sie sie nicht jagte. Unsere Gedanken waren verschmolzen mit dem Einklang und die Sorgen des Lebens verschwunden, als hätte es sie nie gegeben.

Sollten die Hähne trotz uns Störenfriede zurückkommen? Wir hörten sie bereits überall kullern, zischen und balzten, nur bei uns nicht. Doch als gäbe es zum Sonnenuntergang kein anderes Ziel, in Sekunden fallen wieder über 30 Hähne ein. Diesmal nahm ich nicht die Kamera zur Hand, denn ich möchte einen zweiten Hahn. Das Ansprechen fiel mir nicht schwer. Ein bereits am Vortag sehr auffälliger, alter Hahn sollte es sein. Zwar fehlte ihm eine seiner extrem gebogenen Sicheln, doch bereits bevor er einstimmt, bricht der Schuss. Er zeichnete gut, aber der Stingel erhob sich kurze Zeit später. Kein Risiko, der zweite Schuss auf ca. 25 Meter lässt ihn schlagartig verenden. Ich freue mich bis in die Fingerspitzen, das ist des Jägers Lebensqualität. Ich erklärte Regina die Balzstifte, die Rosen, die Sicheln und warum ich mir sicher war, dass es sich um einen alten Veteranen handelte. Die Rosen erinnerten mich in ihrer Intensität an den Lippenstift bei einer Frau, Reize zeigen, schön sein für sich und andere.

Weiter mit dem Quad, denn mittlerweile waren die Wege so aufgeweicht, dass selbst der alte UAZ-Geländewagen nicht weiter kam, zum Schnepfenstrich. Wieder zählen wir über zehn quorrende Hähne. Nur einer kommt zu dicht und wurde mein. Die Malerfedern schmücken jetzt den Hut.

Der letzte Tag, das gleiche Ritual. Das harte Leben eines Hahnenjägers. Der Biorhythmus des Körpers wird völlig durcheinander gebracht Die mittlerweile zur Routine gewordene Schlammschlacht auf der Auftaupiste brachte uns in die Region. Schnellen Schrittes ging es durch den weichen Schnee, oh Gott, gleich zwei Hähne strichen in der Dunkelheit ab. Ihr schwerer Schwingenschlag war unverkennbar. Der Wind hauchte nur ein wenig durch die knorrigen Kiefernkronen. Die alten Bäume erzählten aus ihrer Vergangenheit. Der Tag kam, doch das erhoffte Lied blieb aus. Die Vogelwelt erwachte und der rauschende Gesang stimmte den Tag ein. Pawel wirkte unruhig. Dann ging es querbeet durch den gesamten Balzplatz. Keine auffliegende Henne, kein singendender Hahn, alte Balzlosung. Er versteht die Welt nicht mehr, doch wir können uns aufgrund der Sprachbarriere nicht austauschen. Selbst beim Frühstück blieb seine Energie bestehen. Anna musste wieder übersetzen. Seinen Vorschlag, die letzte Nacht vorm Abflug an einem anderen Balzplatz zu jagen, lehne ich ab. Ich hatte eine Bitte: Anstatt des Auerhahns lieber am letzten Abend die Birkhähne bei der Sonnenbalz beobachten. Regina und ich alleine mit dem Quad ohne Hast und Eile mit oder ohne Hahn. Pawel willigte gerne ein. Der Erfolgsdruck eines Jagdführers ist mir bekannt. Ich erklärte, wie wichtig die Erlebnisse für mich sind, dass ich dem Birkwild aufgrund meiner Jugend vielmehr verbunden bin als dem Auerwild. Bereits gegen 15 Uhr fuhren wir Richtung vertrautem Schirm. Auf dem Weg dorthin eine frische, relativ große Fuchsspur. Die Einzige in fünf Tagen. Hier möchte man Bodenbrüter sein. Wir fotografieren Flächen mit riesigem Bärenklau. Viel später erreichen wir erst den Schirm. Im Schirm die gewohnte Stimmung. Die Wiesenweihe schaute wieder neugierig vorbei, der Pirol rief, Gänse zogen weiter Richtung Osten in dem riesigen Land, als gäbe es kein Birkwild. Doch wieder in nur wenigen Sekunden fallen diesmal sogar über 50 Birkhähne ein. Das Leben tobte in Sekunden. Die Haupthähne fielen gleich ins Kullern ein, die Sonne verstärkte die Farben ihres atemberaubenden Federkleids. Sie kämpften noch erbitterter, mit den Armschwingen schlagen sie aufeinander ein. Selbst Federn flogen, obwohl sich trotz ihres Eifers nicht eine Henne zeigte. Ich sprach wieder an, diesmal sollte es ein Schneider, ein Beihahn sein. Fast komme ich mir wie ein Naturkundesammler vor, doch dann habe ich jung, mittelalt und alt.
Keine 15 Meter kommt der Gesuchte vorbei, er balzte nicht, schaute nur neugierig umher. Vielleicht musste er noch lernen.

Das Korn der alten Doppelflinte schwingt unruhig auf dem schwarzen Körper umher. Die 3,5 Millimeter Schrote nehmen den jungen Hahn viel zu früh aus dem Leben. Widerwillig verlässt die übrige Hahnengesellschaft ihren Balzplatz. Sanft nahm ich den Hahn in den Arm, wir Jäger sind schwer zu verstehen. Noch auf dem Weg zum Quad – kaum zu glauben – fallen die Liebestollen wieder ein. Überall waren jetzt Hähne zu verhören, nicht nur am Hauptbalzplatz. Wir hören deutlich über 100 Hähne. Immer wieder halten wir auf dem Rückweg an. Was für ein Naturschauspiel, Gefühle wie an diesem Abend erwachen nur in der Natur. Wir vermochten nicht mehr zu zählen. Leider neigte sich einer der schönsten Jagdabende des Lebens. Wir drücken unsere Hände ohne ein Wort zu sagen. Vom großen Artensterben keine Spur.
Das Hahnenfieber erlosch, doch wir kommen wieder!

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